#018 – Tangier/Morocco
TW: dieser Beitrag enthält Bilder von toten Tieren/rohem Fleisch und Blut. Wenn euch das Unbehagen bereitet, verzichtet bitte aufs Weiterlesen oder blendet die Bilder im gesamten Beitrag aus.
Genauso wenig, wie ich auf dem Schirm hatte, dass Gibraltar zu England gehört, war mir bewusst, wie unglaublich nah sich der Afrikanische Kontinent an Tarifa befindet. Bis sich nach den ersten drei verregneten Tagen nach meiner Ankunft in Tarifa die Wolken gelichtet haben und den Blick über die Straße von Gibraltar und Afrika freigaben. Von da an hatte ich es jeden Tag so deutlich vor Augen – dieser neue, fremde Kontinent und diese ganz andere, exotische Kultur. So nah, dass man fast das Gefühl bekommt, man könnte einfach rüberschwimmen. So nah, dass ich es mir nie verziehen hätte, dieses unbekannte Land zumindest für einen Tag zu erkunden.
Das Einzige, was mich davon abhielt, sofort eine Fähre zu buchen und mich ins Abenteuer der Medina von Tanger zu stürzen: ich wollte nicht alleine fahren. Die Surferorte an der Marokkanischen Küste sind eine Sache als alleinreisende Frau – die größeren Städte eine ganz andere und ich hatte wirklich schon einige Geschichten gehört, die es mir nicht gerade verlockend erscheinen ließen. Doch zum Glück traf ich in Tarifa auf Jana und obwohl sie schon einen Ausflug ins 14km entfernte Tanger unternommen hatte, war sie so lieb, mich noch einmal zu begleiten – und los ging es mit der Express Fähre von Tarifa nach Tanger und am selben Tag zurück.
Nach einen verhältnismäßig frühen Wake-up-call (07:30 Uhr), einem Powerwalk zum Fähranleger, weil es dann doch nicht früh genug und der Kaffee zu gut war und einer schnellen Security Kontrolle am Hafen (das Messer in meiner Tasche wurde entweder nicht entdeckt oder toleriert, weil ich eine Frau bin) waren wir auf der Fähre und eine Stunde später auch schon am Hafen von Tanger. Ich weiß es macht keinen Sinn, aber die Luft war direkt anders, die Sonne direkt ein kleines bisschen Wärmer und es lag definitiv „neues Land, neue Kultur“ in der Luft.
Nachdem wir direkt am Hafen ein bisschen Geld gewechselt und den ersten SEHR aufdringlichen Tour-Guide, der uns unbedingt seine Minibus-Tour verkaufen wollte, losgeworden waren (ich war jetzt schon heilfroh, nicht alleine unterwegs zu sein) ging es auf direktem Weg in die Medina von Tanger – der Eingang wurde stilecht von Katzen und einem wunderschön gearbeiteten Torbogen bewacht.
Nach ein paar Schritten kommt man direkt zum Petit Socco – dem kleinen Markt. Weil die Uhren in Tanger gefühlt noch langsamer ticken, als ich Spanien, und die Menschen um uns herum erst jetzt langsam anfingen, ihre Läden zu öffnen und in geschäftigtes Treiben zu verfallen (es war inzwischen 10:30 Uhr) wollten wir noch einen Kaffee trinken und erstmal alles auf uns wirken lassen. Am Petit Socco gibt es zwei Kaffees – eins davon ganz offensichtlich für Touristen mit gepflegter Frühstückskarte und Kellnern im Anzug und eins, in dem ausschließlich männliche Einheimische auf wackeligen Stühlen auf der Terasse saßen und über Gott und die Welt sprachen. Da wollte ich natürlich hin. Ganz wie die Profis haben wir uns am Straßenstand nebenan einen Fladen mit Nutella für nichtmal einen Euro gekauft und uns dann einen Platz auf der Terasse gesucht, wobei uns die versammelte Männerschar ziemlich interessiert beäugt hat. Auf französisch wurden dann zwei Café au lait bestellt und unser mitgebrachtes Essen gegessen (finde ich übrigens soooo cool, können wir das in Deutschland bitte auch einführen?) und dann saßen wir erstmal einfach eine knappe Stunde nur da und haben das Treiben beobachtet.
Danach haben wir uns dann ins Gassengewirr der Medina gestürzt und uns einfach erstmal ohne großes Ziel treiben lassen. Viele der Geschäfte hatten immer noch geschlossen und so haben wir uns einfach auf die schöne, exotische Architektur konzentriert. Ich hätte wirklich nicht damit gerechnet, aber die Straßen der Altstadt waren super sauber und gepflegt und nach kurzer Verwirrung hat man den Dreh eigentlich relativ schnell raus, wo sich was befindet und in welcher Himmelsrichtung sich die „Hauptstraße“ befindet. Natürlich wird man auch hier an jeder Ecke angesprochen und sagt ungefähr alle 60 Sekunden sehr freundliche und bestimmt „Nein“ zu irgendwas. Die wenigen Geschäfte,, die schon geöffnet hatten, waren ganz so, wie man es von Marokko erwartet: Teppiche, Zauberlampen, Keramik und jede Menge Schnickschnack.
Mehr durch Zufall sind wir dann nach etwa 2 Stunden Spazieren auf dem Grand Socco gelandet, wo sich das berühmte Cinema Rif befindet und außerdem der Souk – also der Markt mit frischen Lebensmitteln und Gewürzen – befindet. Uns spätestens jetzt solltet ihr aufhören zu lesen, wenn ihr nicht mit dem Anblick von toten Tieren umgehen könnt.
Sowas hab ich noch nie gesehen und ich war komplett kulturell verzückt. Versteht mich nicht falsch – ich halte auch nichts von Massentierhaltung oder dem töten von seltenen Arten, aber die Eindrücke, die ich auf diesem Markt bekommen habe, werde ich nie vergessen und haben alle Erwartungen an „Kulturschock“ übertroffen. Der ganze Markt war voller Menschen, Händler, die herumgeschrien haben und Marokkaner, die einfach mitten im Weg standen und über alles gefachsimpelt haben. Frauen, die am Boden saßen und Körbe flochten und nur sehr sehr wenige Touristen mittendrin. Komplette Reizüberflutung. Plötzlich liefen zwei Männer mit jeweils einer halben Kuh auf der Schulter an uns vorbei, als wäre es das Normalste auf der Welt – ich glaube ich hab noch nie so ein großes Stück totes Fleisch gesehen. Das war schon ziemlich irre und spätestens da wussten wir, dass der Markt nichts für schwache Mägen ist. Meine vegetarische Begleiterin hat auch direkt ihren Schritt beschleunigt aber ich war komplett fasziniert. Überall waren Tierinnereien aufgehäuft und lasst uns nicht über die Hygiene sprechen. Auf dem Fischmarkt des Souk gab es erstmal nichts Überraschendes – bis ich fast über einen toten Hai, der am Boden lag, gestolpert bin. Der krönende Abschluss war ein weißes Kaninchen mit Fell und Allem, das an den Hinterläufen und mit einer purpurroten Blutspur im Gesicht von der Decke hing.
Danach war uns erstmal wieder nach etwas Schönem, also haben wir uns auf den Weg in die Kasbah, dem etwas wohlhabenderen Teil der Medina und ehemaligem Inspirationsviertel des französischen Malers Henri Matisse gemacht. Die Häuser hier waren sogar noch ein bisschen weißer und kunstvoller, als im Rest der Altstadt und hier haben wir das Café mit der wohl besten Aussicht der Stadt gefunden – auch wenn sich darüber jetzt bestimmt Streiten lässt, denn natürlich ist der eigentlich Superstar unter den Cafés in Tanger das berühmte Café Hafa aus den 1920er Jahren, in dem sogar die Beatles schon Minztee getrunken haben. Da wir unbedingt beides sehen und erleben wollten, gab es zuerst eine Limo mit Blick über die Dächer der Medina und danach einen marokkanischen Minztee im Hafa mit Blick über den Atlantik und das Mittelmeer. Hier haben wir dann realisiert, dass wir super hungrig waren und haben uns im Restaurant nebenan eine traditionelle Tajine für schlappe 4 Euro gegönnt – Schoßwärmer inklusive, der mich am Ende gar nicht gehen lassen wollte.
Und jetzt hatten wir eine Mission: Geld ausgeben! Jeder weiß, dass man einmal umgetauschtes Geld nicht wieder zurück tauscht und da wir bis jetzt einfach super duper günstig durch den Tag gekommen waren, hatten wir noch Budget für mindestens zwei marokkanische Teppiche. Kleine natürlich, denn sie müssen ja schließlich in den Van passen. Es hat auch gar nicht lange gedauert, bis ich stolz wie Oskar über meine Verhandlungskünste mit zwei wunderschönen Teppichen aus einem Laden spaziert kam. Unser Tag in Tangier neigte sich bereits dem Ende zu, als es uns dann doch noch passiert ist: ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, aber einer der vielen „Rattenfänger“ (ihr wisst, es kling viel böser, als es gemeint ist) hat es dann doch noch geschafft, uns zu einem Besuch in seinem Laden zu überreden. Wir dachten, besagter Laden sei gleich um die Ecke, aber nachdem wir gute 10 Minuten ins Gassengewirr der Medina geführt wurden, wurde mir doch ein kleines bisschen komisch zumute. Zum Glück (!!) war ich nicht allein unterwegs. Als er schließlich anhielt, standen wir vor einem unscheinbar wirkenden Teppichladen, der sich nach Eintreten durch die kleine Tür als 2-stöckiges Teppichparadies entpuppte. Mitten im Laden stand ein großer Webstuhl, and dem fleißig gearbeitet wurde und der Besitzer führte uns stolz herum. Lange Rede kurzer Sinn: nach einigem Stöbern in den Bergen von Teppichen und Kissen, hab ich das allerschönste Kelim-Sitzkissen überhaupt gefunden. Also ging das große Handeln wieder von vorne los und als wir uns dann auf einen Preis geeinigt hatten, wurde das Geschäft per Handschlag besiegelt. Und dann hat uns dieser super liebe Mensch noch zu einem Minztee eingeladen, sodass wir die restliche Zeit bis wir zu unserer Fähre aufbrechen mussten, mit ihm mitten in seinem Laden gesessen, geplauscht und Tee getrunken haben – ich meine, viel mehr kann man von einem Besuch in Marokko doch echt nicht erwarten.