#009 - Drei Monate im Surfcamp

Oder 3 Jahre? 3 Wochen? Es fühlt sich mal so und mal so an, um ehrlich zu sein. Drei Monate, die so schnell vergangen sind, als wären wir gerade eben erst angekommen und sich auf der anderen Seite wie eine Ewigkeit – sogar wie ein ganzes Leben – anfühlen. Drei Monate ohne Blogbeitrag, denn es war einfach nie der richtige Zeitpunkt, nie genügend Ruhe oder nie ausreichend gutes Internet da. Ich weiß auch gar nicht, wie ich diese letzten Monate ansatzweise in Worte fassen soll, aber gleichzeitig fühlt es sich auch falsch an, es nicht zu versuchen.

Also versuche ich es.

Und am besten fange ich mit dem Leichtesten an: ein ganz normaler Tag im Surfcamp. Irgendwie immer gleich und irgendwie jedes Mal anders. Ihr merkt schon, das Leben hier in Molle (leider der deutsche Name für Moliets-at-Maa und leider trotz allem Sträuben jetzt Teil meines Wortschatzes – désolée) ist ein einziger Widerspruch in sich. Aber am Ende ergibt Alles irgendwie auch wieder Sinn.

7:00 Uhr: der Wecker klingelt – je nachdem welche Schicht für mich ansteht, gibt es erstmal einen Kaffee im Bett, während um uns herum das ganze Camp zum Leben erwacht und schlaftrunken aus den Zelten stolpert, oder wir hüpfen direkt in die Neo’s und machen uns auf dem Weg zum First light Surf.

7:30 Uhr: Baguettedienst. Man schnappt sich ein Auto und fährt zur nächsten Boulangerie, um Baguettes, Croissants und Chocolatines für das gesamte Camp einzusammeln und auszuteilen. Sind in der Hauptsaison mal locker 500 Stück pro Sorte.

8:00 Uhr: die Frühstücksschicht beginnt. Heißt im Klartext: eine Stunde, um noch im Halbschlaf und meistens mit einem leichten Kater das Frühstücksbuffet für die Gäste aufzubauen. Es vergeht eigentlich kein Tag ohne die ein oder andere Krise (Joghurt leer, Kaffeemaschine kaputt, Stromausfall im Camp wegen Regen), sodass es definitiv nie langweilig wird. Wenn man schlau ist, meldet man sich NICHT freiwillig zum Obstsalat schneiden, denn dann macht man die ganze Schicht nichts anderes mehr.

10:30 Uhr: Teammeeting und selbst frühstücken. Wer zu spät ist, muss den Affentanz vor versammelter Mannschaft machen. Im Teammeeting wird alles, was für den Tag ansteht besprochen, Daily Jobs verteilt und über den Morgensurf geschwärmt. Außerdem gibt es immer einen weisen Spruch von Tatti’s Mum (Tatti ist unsere Yogalehrerin und Tatti’s Mum postet jeden Tag eine neue Lebensweisheit in ihren WhatsApp Status, die dann das motto unseres Tages wird. Sowas wie „Wer freundschaft mit sich selbst schließt, ist niemals allein“. 

11:00 – 17:30 Uhr: Dayteamer. Diese Schicht wird immer auf zwei Teamer aufgeteilt und heißt Nichts anderes, als im Camp anwesend zu sein und für eventuelle Fragen und Problemchen der Gäste zur Verfügung stehen. Außerdem gibt es eine Liste mit Aufgaben, die wir abarbeiten und sobald das erledigt ist, geht’s mit einem Buch ab in die Hängematte. 

18:00 Uhr: Dinnerschicht. Im Grunde das Gleiche wie morgens – nur mit wechselndem Abendessen und demenstprechend wechselnden Salatbuffets. Wenn ich wechselnd sage, dann meine ich im 7-Tage-Rhytmus. Die Gäste bekommen jeden Tag ein anderes Gericht. Wir essen seit 13 Wochen einfach an jedem Tag der Woche immer das Gleiche und so langsam geht’s auch echt nicht mehr. Sagen wir es mal so: wir freuen uns, bald wieder unterwegs zu sein und selbst zu kochen.

20:30 Uhr: End of working day – und immer steht irgendeine Party an. Oder ein Spieleabend. Oder gemütliches Zusammensitzen und Quatschen. Oder Sunset Surf. Selbst wenn man etwas ganz Entspanntes und Ruhiges machen will, ist man eigentlich nie vor Mitternacht im Bett. Manchmal auch erst um 4 Uhr morgens. Manchmal gar nicht. 

Tja und das ist erst die Jobbeschreibung – wir machen natürlich nie alle Dienste an einem Tag, sondern meistens 1-2 Schichten also super entspannt. Und die eigentliche Molle-Magie passiert ja außerhalb der Arbeit…wo fange ich da an?

Eins steht auf jeden Fall fest: das, was Molle so besonders macht, ist nicht der Ort an sich oder der Strand oder das echt überschaubare Freizeitangebot (außer natürlich Surfen), sondern die Menschen. Man trifft so viele tolle Seelen, dass ich manchmal wirklich das Gefühl hatte, dass mein Herz bald keinen Platz mehr hat. Wir teilen alle die gleichen Interessen (Reisen, Surfen, bloß nicht zu schnell zu erwachsen werden) und sitzen alle im selben Boot (Laydays, anstrengende Gäste, teilweise echt unangenehme Arbeitsstunden) und das macht es so leicht hier Freundschaften fürs Leben zu schließen. Auf der anderen Seite, passiert es auch schnell, dass man sich selbst ein bisschen verliert – Molle ist für mich eine eine einzige FOMO. Man ist nie wirklich alleine, ständig passiert irgendwo irgendwas und eigentlich möchte man die Saison komplett ausnutzen und alles mitnehmen. Wenn man gerade nicht arbeitet, ist man am Strand oder besser gesagt im Wasser, um stundenlang zu surfen. Demenstprechend haben sich meine Fähigkeiten beim Surfen so sehr weiterentwickelt, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Ich kam wirklich als fast komplette Anfängerin hier her und hatte wenig Ahnung vom Wellenlesen – jetzt bekommt man mich fast nicht mehr aus dem Wasser und die ersten Cross Steps auf dem Longboard sitzen. Wenn der Surf nicht gut ist, stapeln sich oft viel zu viele Leute in ein Auto, um Ausflüge nach Hossegor, Biarritz oder andere Orte zu machen. Immer ist irgendwo ein Surf- oder Skatefestival oder eine Filmpremiere oder ein Markt oder oder oder…

Sunset watch, Skinny dippen (inklusive fluoreszierendem Plankton), nachts nackt vor einem fremden Zelt liegen und die Sterne betrachten – ist alles ganz normal und an der Tagesordnung. Und trotzdem nimmt man nichts davon jemals als selbstverständlich hin, denn es fühlt sich jedes Mal wieder wie ein aufregendes Abenteuer an. Man teilt einfach die schönsten und manchmal auch traurigsten Momente mit Menschen, die man eigentlich kaum kennt, aber die sich durch das ständige Zusammensein wie Familie anfühlen. Manchmal ist Molle auch ein bisschen wie eine schlechte Reality Show: Herzschmerz und Dramen gibt es hier auf jeden Fall genug. Ich glaube, wenn man sich hier nicht zumindest einmal Hals über Kopf verliebt hat, war man nicht richtig hier.

Und wenn einem der ganze Trubel mal zu viel wird, hat man immer die Möglichkeit, in den Wald oder ganz weit in den Norden vom Strand zu spazieren und einfach ein paar Stunden zu verschwinden. So hab ich die größte und schönste Muschel überhaupt gefunden und beim Surfen letztens sogar eine Robbe neben mir im Wasser gesehen. Jetzt, wo die Saison so langsam zu Ende geht, gibt es immer mehr ruhige Momente, aber die Hauptsaison war ein einziger Rausch aus Liebe Lust und Leichtigkeit – und auch ganz viel Abschiedsschmerz, denn nach und nach haben sich alle meine Herzensmenschen verabschiedet und sind weitergezogen. Einige sehe ich zum Glück schon ganz bald wieder, andere vielleicht erst im nächsten Sommer, wenn wir alle zur großen Familienvereinigung wieder kommen. Aber jetzt heißt es noch zwei Wochen und dann geht die Reise erstmal weiter – mit Vänilla durch Nordspanien und weiter bis zur Algarve. 

Stay salty!

Lea